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Wenn harmlose Stoffe zur körperlichen Bedrohung werden

Es kann auch zu sauber sein. Warum sich Allergene und Immunsystem anfreunden müssen und welche Rolle Genetik und Kindheit dabei spielen.

Bestimmte Lebensmittel werden plötzlich zur Gefahr. Beim Besuch im Restaurant gilt der erste Blick den Zusatzstoffen. Die Vorfreude auf den Frühling ist getrübt, weil dann vermehrt Gräser blühen und Pollen fliegen. Das Summen einer Wespe genügt, um Panik auszulösen. Wer an einer Allergie leidet, hat gelernt sich umzustellen und zu verzichten. Doch häufig gibt es eine Chance auf Linderung, weiß Dr. Saleh Al Hamoud, Chefarzt am Bezirksklinikum Obermain in Kutzenberg.

Was passiert im menschlichen Körper bei einer allergischen Reaktion? 

Dr. Al Hamoud: Bei einer Allergie reagiert das menschliche Immunsystem überschießend auf eigentlich harmlose Substanzen, so genannte Allergene. Das können Nahrungsmittel, aber auch Pollen oder Insektengifte sein. Es kommt zu einer Sensibilisierung bei der das Immunsystem Antikörper gegen das Allergen bildet. Kommt es in der Folge zu einem erneuten Kontakt, dann werden Botenstoffe, wie etwas Histamin freigesetzt. Sie verursachen dann die typischen allergischen Reaktionen, wie etwa Juckreiz, Niesen oder auch Atemnot. Dabei reicht die Bandbreite von den genannten leichten Symptomeis hin zu extremer Atemnot oder einem lebensbedrohlichen, sogenannten anaphylaktischen, Schockzustand. 

Welche Rolle spielt die Genetik im Zusammenhang mit Allergien? 

Dr. Al Hamoud: Die genetische Veranlagung eines Menschen spielt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von allergischen Erkrankungen. Sind beispielsweise beide Elternteile allergisch, dann steigt das Risiko der Kinder ebenfalls überempfindliche Reaktionen zu entwickeln. Deren Auftreten hängt dabei nicht mit einem einzelnen „Allergie-Gen“ zusammen, sondern vom Zusammenspiel vieler Gene ab. Es existieren rund 150 Genvarianten, deren unterschiedliche Kombination die Wahrscheinlichkeit erhöht, eine oder mehrere allergische Erkrankungen zu entwickeln. Umgekehrt muss eine genetische Veranlagung jedoch nicht zwangsläufig zur Allergie führen. Weitere Faktoren, wie etwa Umwelteinflüsse, Ernährung oder Lebensstil können die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Allergie entscheidend beeinflussen. 

Nicht selten leiden Betroffene unter Kreuzallergien. Was verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung? 

Dr. Al Hamoud: Bei einer Kreuzallergie ist das betroffene Immunsystem nicht in der Lage zwischen einem bestimmten Allergen, zum Beispiel Pollen, und ähnlichen Stoffen zu unterscheiden. Allergiker, die auf Birkenpollen reagieren, entwickeln meist auch Reaktionen gegen Äpfel oder Haselnüsse. Der Grund: Der Abwehrmechanismus des menschlichen Körpers reagiert auf bestimmte Eiweiße, die in ähnlicher Form in unterschiedlichen Lebensmitteln vorkommen. Ein weiteres Beispiel für eine Kreuzallergie ist die Reaktion auf Erdnüsse, Soja oder Hülsenfrüchte bei gleichzeitiger Gräserpollen-Allergie. 

Hilfe verspricht die sogenannte Hyposensibilisierung. Welche Idee steckt dahinter? 

Dr. Al Hamoud: Im Laufe eine Hyposensibilisierung, einer speziellen Immuntherapie, wird das betroffene Immunsystem langsam an bestimmte Allergene herangeführt. Bei einer vorliegenden Allergie gegen Wespengift werden die Patientinnen oder Patienten langsam an das Gift gewöhnt. Die Gabe in niedrigen Dosen erfolgt am Bezirksklinikum Obermain in Kutzenberg mittels Spritzentherapie. Die sogenannte Einleitungsphase findet unter ärztlicher Aufsicht statt, da schwere allergische Reaktionen auftreten können. Im zweiten Schritt, der Erhaltungsphase, erfolgt die Dosierung in monatlichen Abständen über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren. Das Verabreichen der Spritzen kann in der hausärztlichen Praxis erfolgen. Die Erfolgsquote liegt bei über 95 Prozent, wenn wir von Wespengift sprechen.  Wichtig ist, dass die Hyposensibilisierung die Symptome nur abschwächt und keinesfalls die Allergie heilt. Daher sollten Betroffene weiterhin immer ein Notfallset mit den nötigen Medikamenten mit sich führen. 

Was ist dran an der Meinung, dass Kinder, die auf dem Land aufwachsen, weniger Allergien entwickeln als Kinder, die in der Stadt leben? 

Dr. Al Hamoud: Diese Meinung ist weit verbreitet. Und ich kann sagen: Das stimmt. Kinder, die viel draußen in der Natur sind, haben ein stärkeres Immunsystem als Kinder, die viel Zeit drinnen verbringen. Ihr Immunsystem hat über Jahre Zeit, sich an bestimmte potentielle Allergene zu gewöhnen. Man könnte sagen: Das Immunsystem freundet sich mit den Stoffen an. Davon profitieren die Menschen dann später im Erwachsenenalter. Häufig ist das Umfeld, in dem die wir aufwachsen, im Hinblick auf Allergene, zu sauber, zu rein. Das Immunsystem hat somit weniger Möglichkeiten sich zu entwickeln und wird dadurch später anfälliger für Angriffe durch gefährliche Stoffe, die häufig überhaupt nicht schädlich sein müssten.