Was macht eine Sexualtherapeutin?
Sabine Schulin: Als Sexualtherapeutin begleite ich Menschen dabei, individuelle oder partnerschaftliche Schwierigkeiten im sexuellen Erleben zu reflektieren, zu verstehen und neue Perspektiven zu entwickeln. Ziel ist es, wieder mehr Zufriedenheit, Selbstsicherheit und Lebendigkeit im sexuellen Erleben zu ermöglichen. Sexualität wird dabei nicht isoliert betrachtet, sondern eingebettet in biografische, emotionale und beziehungsdynamische Zusammenhänge. Die systemische Sexualtherapie bietet einen Ansatz, in dem nicht das „Funktionieren“ im Vordergrund steht, sondern die individuelle Bedeutung von Sexualität – im Leben, in der Beziehung, in der Identität. Es geht also nicht wirklich um „Störungen”, sondern auch um Kommunikation, Nähe, Rollenverständnisse und emotionale Verbundenheit.
Wer sind Ihre Klienten?
Sabine Schulin: Ich arbeite sowohl mit Einzelpersonen als auch mit Paaren. Viele Klienten und Klientinnen suchen den Austausch zunächst allein, insbesondere wenn es um persönliche Unsicherheiten, vergangene Erfahrungen oder eigene Wünsche geht. In anderen Fällen kommen Paare gemeinsam, wenn sich sexuelle Unzufriedenheit oder Kommunikationsprobleme in der Beziehung zeigen.
Meine Klienten und Klientinnen sind dabei so vielfältig wie die Themen selbst: Sie kommen aus verschiedenen Altersgruppen, Lebensformen und kulturellen Hintergründen. Entscheidend ist für mich, einen offenen, sicheren und wertschätzenden Raum zu schaffen – unabhängig davon, wie Menschen lieben und leben.
Mit welchen Problemen kommen sie zu Ihnen?
Sabine Schulin: Die Themen sind mannigfach. Häufig geht es um sexuelle Unlust, Erektionsstörungen, Schwierigkeiten mit der Erregung oder dem Orgasmus, aber auch um unterschiedliche Bedürfnisse innerhalb einer Partnerschaft, sexuelle Orientierung, das Erleben nach traumatischen Erfahrungen oder um einen offenen Umgang mit Sexualität im Kontext von Krankheit, Alter oder Veränderungen in der Beziehung. Auch körperliche Schmerzen beim Sex – etwa Dyspareunie oder Vulvodynie – spielen eine wichtige Rolle. Sie können stark belastend sein, sowohl individuell als auch für die partnerschaftliche Beziehung, und bedürfen einer sensiblen, interdisziplinären Betrachtung.
Ein besonders häufiges Thema ist die nachlassende sexuelle Anziehungskraft in langjährigen Beziehungen. Paare erleben dabei oft eine Spannung zwischen emotionaler Nähe und erotischer Distanz: Während die Vertrautheit wächst, bleibt die Sexualität auf der Strecke. Die sexualtherapeutische Arbeit nimmt solche Dynamiken auf und unterstützt Paare dabei, neue Formen der Begegnung zu entwickeln, die nicht auf Anpassung, sondern auf gegenseitiges Verstehen setzen.
Wie entstehen diese Probleme?
Sabine Schulin: Sexuelle Schwierigkeiten entstehen selten isoliert. Sie spiegeln oft ein Zusammenspiel aus individuellen Prägungen, Beziehungsmustern, kommunikativen Blockaden und psychosozialen Belastungen wider. Gerade im partnerschaftlichen Kontext zeigt sich: Sexualität ist kein separater Lebensbereich, sondern eng mit emotionaler und sozialer Dynamik verknüpft. Oft spielt eine Kombination aus Stress, ungelösten Beziehungskonflikten, negativen sexuellen Lernerfahrungen oder gesellschaftlichen Erwartungen eine Rolle.
In der systemischen Sexualtherapie arbeiten wir mit dem Verständnis, dass Unterschiede im sexuellen Erleben nicht zwangsläufig ein Problem darstellen, sondern ein Ausgangspunkt für Entwicklung sein können. Die Frage lautet daher nicht: Wie gleichen wir Unterschiede aus? Sondern: Wie können diese Unterschiede miteinander in Kontakt kommen, ohne dass jemand sich verbiegt?
Es geht ja hier vermutlich meist um Libidostörungen, sexuelle Erregungsstörungen, Orgasmusstörungen, oder? Wie geht man das an?
Sabine Schulin: Das sind typische Themen, aber sie stehen oft stellvertretend für etwas Tieferliegendes. Die systemische Sexualtherapie betrachtet diese Anliegen nicht primär als Defizite, sondern als Ausdruck einer aktuellen inneren oder zwischenmenschlichen Dynamik.
Ein zentrales Ziel ist es, den Blick zu weiten: weg vom „Funktionieren“, hin zu einem Verständnis für das, was hinter dem Rückzug, dem Leistungsdruck oder der Unsicherheit steckt. Der therapeutische Prozess schafft neue Dialogräume, in denen Sexualität wieder als lebendiger Ausdruck von Beziehung und Selbstwahrnehmung erlebbar wird.
Wie genau läuft hier die Therapie ab?
Sabine Schulin: Die Therapie beginnt mit einer sorgfältigen Anamnese, in der wir die Ausgangslage, die bisherigen Erfahrungen und die angestrebten Veränderungen gemeinsam erarbeiten. Auf dieser Grundlage entsteht ein individueller Prozess, der Gespräche, strukturierte Reflexion und alltagsnahe Impulse umfasst.
Die therapeutische Haltung ist dabei offen, wertschätzend und klar strukturiert. Im Zentrum steht immer das Gespräch – mit dem Ziel, Verständnis für sich selbst und die eigenen Muster zu entwickeln, neue Sichtweisen zu ermöglichen und konkrete Veränderungsschritte umzusetzen.
Arbeiten Sie als Sexualtherapeutin nur außerhalb der Klinik in Ihrer Praxis oder auch vor Ort im Bezirkskrankenhaus?
Sabine Schulin: Nach meiner fundierten Weiterbildung zur systemischen Sexualtherapeutin bei Prof. Dr. Ulrich Clement in Heidelberg habe ich zunächst in eigener Praxis gearbeitet und Einzel- sowie Paarsitzungen angeboten – auch online, insbesondere nach meinem Umzug nach Bayreuth 2021.
Durch meine derzeit sehr fordernde Tätigkeit in leitender Funktion am Bezirkskrankenhaus Bayreuth, meine Arbeit im Akutkontaktbereich (therapeutische Soforthilfe an Wochenenden, Nächten und Feiertagen) sowie meine parallele Promotion, habe ich die sexualtherapeutische Tätigkeit derzeit pausiert – mit dem klaren Ziel, diese nach Abschluss der Promotion wieder aufzunehmen.
Bisher erfolgte die Arbeit außerhalb des Kliniksettings. Perspektivisch ist jedoch eine stärkere Integration sexualtherapeutischer Themen in den klinischen Alltag nicht nur denkbar, sondern aus meiner Sicht ausgesprochen sinnvoll – etwa in der psychosomatischen oder psychiatrischen Versorgung, wo Sexualität oft ein mitbetroffenes, aber selten explizit angesprochenes Thema ist.
Gerade im klinischen Setting erlebe ich es als sehr wertvoll, wenn ein offener und professioneller Umgang mit Sexualität möglich wird. Für viele Patientinnen und Patienten bleibt dieses Thema mit Scham behaftet – und auch manchen Kolleginnen und Kollegen fällt es nicht leicht, es anzusprechen. Umso häufiger wird es als bereichernd erlebt, wenn ich diese Gespräche ermögliche und begleite. Es zeigt sich immer wieder, wie sehr dies die therapeutische Beziehung vertiefen und das Verständnis für die Patientinnen und Patienten erweitern kann.