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News

Magersucht: Wenn die Psyche den Körper zerstört

Es ist eine alarmierende Zahl und sie ist Corona zuzuschreiben: In den vergangenen drei Jahren wurden während der zwei Corona-Lockdowns bei Jugendlichen zwischen 30 und 40 Prozent mehr Anorexien diagnostiziert als in der Zeit davor. Zu diesem Ergebnis kamen Studien.

 Die Zahlen sind noch nicht veröffentlicht, sprechen aber eine deutliche Sprache. Die Hypothese: Während der Lockdowns sind den Jugendlichen soziale Netze in Schule oder Vereinen weggebrochen, es herrschte große globale Unsicherheit, die Jugendlichen suchten sich ein Ventil, um sich selbst zu regulieren und so diese Situation auszuhalten. Und das war der eigenen Körper. Immer weniger essen. Hier noch eine Kalorie einsparen, dort noch eine. Exzessiv Sport treiben. Und so Lob einheimsen, wie gut man denn abgenommen habe.

Man muss aufpassen – nicht jeder, der abnimmt, hat gleich eine Essstörung. Das macht MUDr. Stepan Sulek deutlich. Sulek ist kommissarischer Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters am Bezirkskrankenhaus Bayreuth. Alarmiert muss man sein, wenn die Gedanken des Jugendlichen nur noch ums Essen kreisen, wenn diese Gedanken den Alltag bestimmen, wenn man außerdem eine gestörte Wahrnehmung von seinem Körper hat, also denkt, man sei fett, obwohl man ganz objektiv sehr dünn sei. Alarmiert muss man sein, wenn sich Rituale entwickeln, um immer weiter abzunehmen – die Menge des Essens und auch das Sortiment werden reduziert. Gegessen wird kontrolliert, beispielsweise nur noch zu bestimmten Uhrzeiten.

Üblicherweise bekommen die Jugendlichen zunächst positive Rückmeldungen zu ihrem Verhalten. Sie werden für eine gute Figur gelobt und dafür, wie diszipliniert sie abgenommen haben. Also machen sie weiter. Um weiter gelobt zu werden.

Magersucht, der medizinische Begriff dafür ist Anorexie, hat schwerwiegende Folgen. Betroffene werden sozial isoliert, leicht gereizt, leiden an Stimmungsschwankungen und können sich schlechter konzentrieren. Muskelmasse und gesundes Fettgewebe werden abgebaut, dies führt dazu, dass die Jugendlichen frieren. Bei den jungen Frauen bleibt die Regelblutung aus, sie können unfruchtbar werden. Die Knochendichte wird nicht weiter aufgebaut, das Herz schlägt langsamer. Der Körper stellt den Stoffwechsel aufs reine Überleben um. Um die Funktion des Gehirns und des Herzes aufrecht zu erhalten, werden andere metabolische Funktionen heruntergefahren. Ein Drittel aller magersüchtigen Patientinnen haben einen chronischen Verlauf ihrer Krankheit, ihr Körper ist geschädigt, die Krankheit kann tödlich enden.  

Essstörungen sind vorwiegend ein weibliches Phänomen. Sulek erklärt das damit, dass Frauen einen kritischeren Blick auf ihren Körper haben, als Männer. Dazu kommt, dass in der westlichen Kultur schlank auch häufig mit erfolgreich gleichgesetzt werde, so Sulek. Das Einstiegsalter liegt meist zwischen zwölf und 18 Jahren.

Essstörungen fallen nicht sofort auf. Die Betroffenen entwickeln Verhaltensweisen, um nicht mit anderen gemeinsam essen zu müssen. Essen wird versteckt, es gibt Streit ums Essen. Betroffene fallen durch Perfektionismus auf, häufig haben sie Minderwertigkeitsgefühle oder leben in einem Umfeld, das hohe Erwartungen an sie hat. Die Patienten fühlen sich häufig allein, gehen keine festen Beziehungen ein, richten ihr Leben an der Essstörung aus. 

Wenn Eltern bei ihrem Kind eine Essstörung bemerken, dauert es durchschnittlich zehn Monate, bis wirklich stationäre Hilfe gesucht wird. Für eine Aufnahme in der Klinik sind mehrere Kriterien ausschlaggebend. Es geht nicht nur um die Zahl auf der Waage, auch die Dynamik der Krankheit spielt dabei eine Rolle. Zu den Kriterien für eine stationäre Aufnahme gehören ausgeprägtes Untergewicht oder rapider Gewichtsverlust, ein Umfeld, das die Genesung verhindert, fehlende Krankheitseinsicht, Gefahr für den Körper.

Haben Eltern einen Verdacht, dass das Kind unter einer Essstörung leidet, ist der erste Ansprechpartner der Kinderarzt. Gegebenenfalls schließt sich dann eine ambulante oder stationäre Therapie an. „Häufig ist die Krankheit aber so weit fortgeschritten, dass sie zuhause nicht mehr zu bewältigen ist“, sagt Stepan Sulek. Ist die Diagnose gestellt, gibt es auch für die Eltern Empfehlungen für das richtige Verhalten, sie werden immer in die Behandlung eingebunden. Wichtig, so Sulek, seien regelmäßige Mahlzeiten unter Aufsicht. In der Klinik wird im Rahmen der Psychotherapie eine Kost-Aufbau angestrebt. Dazu wird es ein individueller, gestufter Gewichtsplan erstellt. Schrittweise werden Portionen vergrößert, um eine Gewichtszunahme zu erreichen. Für die Patienten bedeutet das zunächst Stress. „Wir merken immer eine starke Anspannung“, die Patienten entwickeln Schuldgefühle, weil sie essen, sie erbrechen heimlich oder versuchen mit starkem Bewegungsdrang diese Anspannung zu kompensieren. Auch die Verdauung läuft nur langsam wieder an. Gleichzeitig läuft eine multimodale Psychotherapie an. In der Einzeltherapie geht es erstmal, um Krankheitseinsicht und Motivation, die Krankheit zu besiegen. Weitere Therapiebausteine sind Selbstwahrnehmung, soziale Kompetenzen, Ergotherapie oder Gruppentherapie.

Und was ist präventiv möglich? Suleks Tipp an alle Eltern: Vermitteln Sie ihrem Kind ein Gefühl der Zugehörigkeit, der Zuwendung und Anerkennung in anderen Bereichen, als nur mit dem Blick auf eine tolle Figur.

 

Info: MUDr. Stepan Sulek ist kommissarischer Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters am Bezirkskrankenhaus Bayreuth.

 

Kontakt: Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters am Bezirkskrankenhaus Bayreuth, Nordring 2, 95445 Bayreuth. Telefon: 0921/283-0, www.gebo-med.de