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News

Gestörte Schaltkreise

Was läuft falsch im Kopf, wenn man psychisch krank wird? Unser Leitender Ärztlicher Direktor Professor Dr. med. habil. Thomas W. Kallert erklärt, welche Rolle Gene und Erleben bei der Entstehung psychischer Erkrankungen spielen.

Gehirn und Nervensystem des Menschen leisten Unglaubliches. Sie lassen uns denken, fühlen, empfinden, lernen, erinnern, sie steuern Bewusstes und Unbewusstes. Doch was ist passiert, wenn eine psychische Störung auftritt? Professor Dr. med. habil. Thomas W. Kallert, Leitender Ärztlicher Direktor der Gesundheitseinrichtungen des Bezirks Oberfranken, erklärt den Mechanismus.

 

Seelische Störungen wie Depression oder Schizophrenie gelten als Fehlregulierungen des Gehirns. Was läuft da falsch?
Professor Kallert: Bezogen auf diese beiden seelischen Störungen lässt sich plakativ sagen, dass die Schaltkreise des Hirns anders funktionieren als sie sollten. Das Gehirn besteht aus etwa 86 Milliarden Nervenzellen, die untereinander mit hunderten Billionen von Verbindungen verknüpft sind. Mittlerweile ist bekannt, welche Hirngebiete bei welcher Erkrankung vor allem dahingehend betroffen sind, dass die durch spezifische Botenstoffe ausgelöste Informationsvermittlung von einer Nervenzelle zur nächsten von der normalen Funktionsweise abweicht. Bei der Schizophrenie ist zum Beispiel das sogenannte mesolimbische dopaminergene System überaktiv. Aber auch die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen im Gehirn bezüglich der Neurotransmitter-Systeme, die mit Gamma-Amino-Buttersäure oder Glutamat arbeiten, funktioniert nicht, wie sie sollte.  

Sind ausschließlich Veränderungen im Gehirn Ursache von psychischen Störungen?
Kallert: Generell gehen wir bei seelischen Störungen wie zum Beispiel der Depression fast immer von mehreren zusammenwirkenden ursächlichen Faktoren aus, von einer Wechselwirkung von psychosozialen und biologischen Faktoren. Dabei kann die Bedeutung der verschiedenen Faktoren von Patient zu Patient erheblich variieren. Mehrere Studien belegen, dass die Wahrscheinlichkeit einer affektiven Störung genetisch bedingt ist. Dass die Erkrankung dann tatsächlich aufritt, löst dann aber in der Regel ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren aus. Das können zum Beispiel hormonelle Umstellungen im Wochenbett oder körperliche Krankheiten sein. Oft sind es psychosoziale Faktoren wie Verluste, Trennungen, berufliche Enttäuschungen, Überforderung, Beziehungskrisen, mangelnde soziale Unterstützung und so weiter. Studien zeigen, dass depressive Störungen familiär gehäuft auftreten. Angehörige ersten Grades haben ein etwa 50 Prozent höheres Risiko selbst an einer unipolaren depressiven Störung zu erkranken, als die Allgemeinbevölkerung. Bislang ist es aber noch nicht gelungen, genetische Marker auf DNA-Ebene zu lokalisieren. Es wird davon ausgegangen, dass affektive Störungen durch krankhafte Veränderungen auf verschiedenen Genen (mit) verursacht werden und dass sich diese in verschiedenen Familien und bei den jeweils erkrankten Individuen unterschiedlich kombinieren. Wenn die Mutter depressiv ist, ist das erst einmal als Risikofaktor für die spätere Entwicklung einer depressiven Störung zu betrachten. Aber es bleibt unklar, welchen Anteil die genetische und nicht-genetische Transmission beziehungsweise die nichtgenetischen Faktoren haben. Ergebnisse aus der Forschung mit Tieren lassen den Schluss zu, dass Trennungserlebnisse in der Kindheit das Risiko steigen lassen, später depressiv zu erkranken. Umgekehrt wird man aber also auch nicht automatisch psychisch krank, wenn eine Veränderung im Gehirn vorliegt.

Welche Ursachen hat eine Störung von Gehirn und Nervensystem?
Kallert:
Die Ursachen sind vielfältig. Das kann im Mutterleib passiert sein, weil die Mutter während der Schwangerschaft Suchtmittel konsumiert hat, es können Komplikationen bei der Geburt aufgetreten sein, Infektionen, Verletzungen, Fehlbildungen, neurodegenerative Erkrankungen, oder Schädigungen des das Gehirn versorgenden Gefäßsystems zum Beispiel durch hohen Blutdruck, Diabetes oder Rauchen, operative Eingriffe, Abhängigkeitserkrankungen. Außerdem gibt es einige wenige Krankheiten des Gehirns, die direkt auf eine genetische Anlage zurückzuführen sind: So gehen bei der Huntington-Erkrankung ganz bestimmte Nervenzellen des Großhirns als Folge eines Gendefekts kaputt, wodurch die typischen Muskelzuckungen des „Veitstanzes“ entstehen.

Welche Spuren hinterlässt eine psychische Erkrankung im Gehirn?
Kallert: Aufgrund der Vielfalt psychischer Erkrankungen kann das nicht umfassend beantwortet werden. Ein Beispiel: Belastende Erfahrungen in der frühen Kindheit, wie beispielsweise eine gestörte Eltern-Kind-Bindung, gelten als Hauptrisikofaktoren für die Entwicklung von psychischen Erkrankungen im Erwachsenenalter. Welcher neurobiologische Mechanismus hier zugrunde liegt ist aber bisher nicht hinreichend geklärt. Ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlern der Universitätsmedizin Mainz hat nun gezeigt, dass frühkindliche Stresserfahrungen die Funktion von bestimmten Gehirnzellen langanhaltend beeinträchtigen können.

Wie verändert eine medikamentöse Behandlung die Vorgänge im Gehirn?
Kallert: Fast alle Psychopharmaka wirken auf die Funktionen des Gehirns ein, indem sie Einfluss auf die chemische Signalübertragung am synaptischen Spalt nehmen. Dadurch werden Funktionen des Gehirns beeinflusst.

Und welchen Einfluss hat Psychotherapie auf das Gehirn?
Kallert: Es gilt als gesichert, dass Psychotherapie das Gehirn verändert. Die Tatsache, dass es insbesondere soziale und Beziehungserfahrungen sind, die über die gesamte Lebensspanne hinweg das Gehirn formen, macht die Bedeutung von Psychotherapie umso deutlicher. Denn in deren Zentrum steht das zwischenmenschliche Erleben: So kann beispielsweise der Kontakt zum Psychotherapeuten eine neue positive Beziehungserfahrung ermöglichen – die sich gleichermaßen neuronal abbilden wird. Im Rahmen einer Psychotherapie werden zudem weitere neue Erfahrungen gemacht, neue Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen angeregt und bestärkt. Gelingt es beispielsweise Angstpatienten ihre angstvollen Gedanken und Gefühle zu verändern, dann bilden sich zugleich neue neuronale Muster aus, die die Aktivität der „Angstzentrale“ im Gehirn hemmen.